Es ist eine Szene, wie sie leider immer wieder vorkommt: Ein Erbfall tritt ein, kein Testament, kein Erbschein, nichts. Nur eine gesetzliche Erbfolge – und eine Frau, die sich sofort als Erbin sieht. Laut, überzeugend, entschlossen. Sie sei die Cousine des Erblassers, sagt sie. Und sie sagt das nicht leise. Sie schreit. Sie schimpft. Sie besteht auf „ihrem“ Erbe.
„Kann sein – aber wir brauchen einen Nachweis.“
Wir prüfen die gesetzliche Erbfolge, bleiben ruhig.
Denn bei der gesetzlichen Erbfolge reicht es schlicht nicht, eine Verwandtschaft zu behaupten. Sie muss nachgewiesen werden – lückenlos. Und je entfernter der Verwandtschaftsgrad, desto aufwendiger wird die Sache. In diesem Fall zeigt sich schnell: Die Frau stammt aus dem erweiterten Familienkreis und in diesem Fall der dritten Ordnung – und genau dort wird es oft unübersichtlich. Wir fordern Unterlagen an, rekonstruieren Familienlinien, recherchieren Geburts- und Sterbeurkunden. Es dauert. Und genau das ist das Problem.
Die Frau wird ungeduldig. Dann wütend. Schließlich tobt sie. Ihr Satz bleibt hängen:
„Dann setzen Sie halt endlich eine Frist! Bis Jahresende – wer sich bis dahin nicht meldet, der ist raus!“ Ein Satz, den wir oft hören. Der in Sachen Erbschaft aber leider nicht verfängt.
Der Erbe muss seine Erbfolge nachweisen
Denn so einfach ist es eben nicht. Die gesetzliche Erbfolge verlangt eine vollständige und nachweisbare Ermittlung. Und diese Pflicht gilt für alle Beteiligten: Nachlassgerichte, Nachlasspfleger, Testamentsvollstrecker – und auch für eine Erbengemeinschaft selbst. Eine eigenmächtige Frist nach dem Motto „wer bis dann nicht auftaucht, ist raus“, hat keine rechtliche Wirkung.
Denn erst wenn alle möglichen Erben ermittelt oder nachweislich nicht auffindbar sind, lässt sich ein Erbschein ausstellen oder das Erbe verteilen. Im konkreten Fall stoßen wir bei den Ermittlungen auf weitere Familienangehörige – auch im Ausland. Am Ende stehen 17 Erben auf der Liste.
Und die wütende vermeintliche Cousine? Muss teilen. Auch wenn sie das überhaupt nicht einsehen will.
Das Aufgebotsverfahren
Eine Ausnahme gibt es allerdings: sogenannte Aufgebotsverfahren.
Es kommt immer dann in Betracht, wenn sich Erben trotz umfangreicher Ermittlungen nicht feststellen lassen – etwa, weil Unterlagen vernichtet wurden, wie es bei historischen Katastrophen der Fall war (z. B. der Flut im Ahrtal). Erst wenn nachweislich alles versucht wurde, um die Erbfolge zu klären, kann das Gericht eine Ausschlussfrist setzen. Bleibt danach jemand unauffindbar, kann er vorläufig ausgeschlossen werden.
Aber:
Ein solcher Schritt ist nicht für Ungeduldige gedacht.
Er ersetzt nicht den gesetzlichen Anspruch.
Und er setzt gründliche, dokumentierte Vorarbeit voraus.
Die gesetzliche Erbfolge kennt keine Emotionen, keine Lautstärke, keine „Deadline auf Zuruf“. Sie verlangt Geduld. Einen langen Atem. Und Nachweise – lückenlose Nachweise darüber, wer tatsächlich erbberechtigt ist. Auch wenn es unbequem ist: Die rechtmäßige Erbfolge entsteht durch Dokumente. Und wer sich zu früh freut, erlebt manchmal ein böses Erwachen – gemeinsam mit 16 anderen.
Bleiben Sie mir gewogen,
Ihre Ira Kröswang
Checkliste: Was bei der gesetzlichen Erbfolge zu beachten ist
1. Gibt es ein Testament oder einen Erbvertrag?
- Wenn ja: Die gesetzliche Erbfolge tritt zurück.
- Wenn nein: Die gesetzliche Erbfolge greift – sie bestimmt, wer erbt.
2. Wer gehört zu welcher Erbordnung?
- 1. Ordnung: Ehepartner, Kinder und Enkel
- 2. Ordnung: Eltern, Geschwister, Nichten/Neffen
- 3. Ordnung: Großeltern, Tanten/Onkel, Cousins/Cousinen
- Wichtig: Eine nachrangige Ordnung erbt nur, wenn in der höheren Ordnung niemand vorhanden ist.
3. Ist der Verwandtschaftsgrad nachweisbar?
- Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden vorlegen
- Eventuell Nachforschungen in Archiven oder im Ausland nötig
- Ohne lückenlosen Nachweis ist keine Erbscheinerteilung möglich
4. Wie wird die Erbquote ermittelt?
- Alle gesetzlichen Erben derselben Ordnung erben zu gleichen Teilen, sofern nichts anderes geregelt ist
- Ehegatten haben ein Sondererbrecht, das je nach Güterstand variiert
5. Was tun bei unbekannten oder verschollenen Erben?
- Gründliche Ermittlungen anstellen (auch über Erbenermittler, Detekteien, Archive)
- Wenn trotz aller Maßnahmen niemand auffindbar ist: Aufgebotsverfahren beim Nachlassgericht möglich
- Achtung: Dieses Verfahren ersetzt nicht die Pflicht zur umfassenden Recherche
6. Wann endet die Suche?
- Erst, wenn alle Erben feststehen oder rechtlich ausgeschlossen sind
- Ungeduld oder persönliche Überzeugung ersetzt keine rechtliche Grundlage
Beispiel zur Einordnung:
Ein alleinstehender Mann ohne Kinder verstirbt.
- Seine Eltern leben nicht mehr.
- Er hatte zwei Geschwister, eines lebt noch.
Dann erbt der lebende Geschwisterteil und ggf. die Kinder des verstorbenen Geschwisters.
Cousinen oder entfernte Verwandte würden nur dann zum Zuge kommen, wenn keine Erben 1. oder 2. Ordnung mehr existieren – also erst als nachrangige Ordnung.